Schere, Schatten, Papier – kein Kinderspiel

Die harte Realität in den Dokumentarfilmen steht oft im Vordergrund des DOKs, doch zeigt es auch andere Wirklichkeiten in den fantasievollen Animationsfilmen. Dieses Jahr hat ein Leipziger die Chance auf den begehrten Preis, die goldene Taube im internationalen Wettbewerb.

Many a TimeWir haben den Filmemacher Andreas Hell, der sich selbst als Trickfilmer bezeichnet, in seiner Ateliergemeinschaft getroffen. Und das ist auch der Ort, an dem der Animationsfilm „Many a Time“ entstanden ist. In seinem Film schickt Andreas Hell den Zuschauer auf eine Traumreise in eine Welt aus Scherenschnittbildern.

In einem Lichtkreis, der von tiefen Schwarz umgeben ist, geht eine Schattenfigur auf Reisen. Die Figur ist auf der Suche nach einem Gleichgesinnten. Und wandert dabei durch bunte Bilderwelten, die Andreas Hell mit Licht- und Farbenspiel erschafft. Die märchenhafte Ästhetik des Films lässt zwar vermuten, dass dies ein Kinderfilm ist, doch stehen im Kontrast zu der heilen Märchenwelt Themen wie Ausgrenzung, Krankheit und Sehnsucht. So bebildert Andreas Hell beispielsweise die Leistungsgesellschaft am Fließband. Der Film verzichtet bewusst auf Sprache, um Freiräume für Assoziationen zu lassen. Die Musik und die Geräusche im Hintergrund lassen die Welten lebendig werden.

In jeder einzelnen Szene stecken viel Geduld und Fingerspitzengefühl. Für eine Sekunde Film, fotografiert Andreas Hell 6 verschiedene Bilder. Diese wirken animiert, wenn er die Figuren und Hintergründe ein wenig verschiebt.

Die Arbeiten von Andreas Hell sind enorm zeitintensiv, deshalb verbringt er viele Stunden in seinem Atelier in Leipzig. Hier wird die Fantasie vom Trickfilmer zur Wirklichkeit. Das wichtigste Möbelstück in seinem Atelier ist der Zeichentisch. Dieser wird von unten beleuchtet, so dass das Licht die darüber liegenden Glasplatten durchscheint. Nun gibt es zwei Ebenen: Zum einen liegen auf dem Zeichentisch verschiedene Pappen, die durch das Licht zu Scherenschnittbildern werden. Zum anderen arbeitet Hell für den Hintergrund mit Acrylfarben, die er auf der Glasplatte verlaufen lässt. Dabei spielt er mit dem Zufall, denn die Muster in den Farbverläufen lassen sich nicht von Menschenhand formen.

Resonanz zu seinen Filmen bekommt er vor Ort von seinen Atelierfreunden, die die härtesten Kritiker, aber auch Helfer sind. Ein befreundeter Künstler, Thomas Moecker, auf der gleichen Etage komponiert beispielsweise die Musik für seine Filme. Der gesamte kreative Schaffensprozess ist enorm zeitintensiv. Inspiration und Abwechslung holt sich Andreas Hell bei seinem zweiten Standbein, seiner Arbeit als Lehrer für deutsch als Fremdsprache. Diesem Beruf verdankt er es auch, dass er seine Filmleidenschaft ausleben kann und genügend Einkommen hat.

Andreas Hell hat nämlich selbst als Dokumentarfilmer angefangen und ist durch Fauxpas beim Drehen zur Animation gekommen. Denn durch Technikfehler beim Drehen musste er fehlende Szenen durch Animationssequenzen ersetzen. Also ist die Begeisterung für das Dok-Festival, nicht nur als nominierter Filmemacher, sondern auch als leidenschaftlicher Filmeschauer sehr groß. Schon seit 20 Jahren ist Andreas Hell begeisterter Festivalbesucher. Während der Festivalwoche hat er keine ruhige Hand für seine Filme, denn wenn er weiß, dass gleich ein nächster guter Dokumentarfilm läuft, sucht man ihn vergeblich im Atelier.

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