„Woher kommst du? Was ist deine Heimat und was ist dein Zuhause?“ – Für viele Menschen liegt die Antwort auf diese Frage schnell auf der Hand. Doch eben nicht für alle.
Die kanadisch-argentinische Filmemacherin Sofia Brockenshire weiß nicht so ganz, wie sie darauf antworten soll. Ihr Vater war ein kanadischer „Immigration Officer“, der in verschiedene Länder reiste und sich dort mit Menschen traf, die sich auf ein kanadisches Visum beworben hatten.
So zog er alle paar Jahre an einen neuen Ort, seine Frau und seine drei Kinder im Schlepptau. Welche Folgen dies für die Familie hatte, arbeitet Brockenshire in ihrem Dokumentarfilm „The Dependents“ auf. Sie ist zwar in Kanada geboren, zog jedoch bereits im Alter von einem Jahr mit ihrer Familie nach Chile. Daraufhin folgten weitere Umzüge nach Südkorea, Indien und Argentinien. Als ihr Bruder im Film gefragt wird, wo er herkommt, antwortet er selbstsicher: „I’m from the suitcases.“
Das Gefühl von Heimatlosigkeit und vor allem den Konflikt, mit Wer schadedem Brockenshires argentinisch-stämmige Mutter kämpft, bringt der Film sehr gut zum Ausdruck. Es wechseln sich Gespräche mit Brockenshires Eltern in der Gegenwart und Foto- und Audiomaterial aus der Vergangenheit ab. Einen großen Teil bilden dabei Zitate aus den Tagebüchern von Sofias Vater, der über viele Jahre hinweg seine Gefühle und Gedanken verschriftlicht hat. Doch auch Sofias Mutter kommt zu Wort. Sie berichtet davon, wie sie sich in den vielen Ländern oft nicht wohlfühlte und wie die Beziehung zu ihrem Mann sie „dependent“, also abhängig, machte.
Es wird aber auch angesprochen, wie politische Verhältnisse die Arbeit von Sofias Vater beeinflussten.
Mehrmals hielten sich die Brockenshires in Ländern auf, in denen eine Diktatur herrschte, sodass der Vater unter anderem mit Gefangenen sprach, bei denen klar war, dass sie nicht freigelassen werden und demnach auch kein Visum erhalten würden. In Indien wurde er sogar abgezogen, als sich Anfang der 2000er Jahre der Konflikt zwischen Indien und Pakistan verschärfte.
Natürlich kann ich als Person, die ihr Leben lang in derselben Stadt gewohnt hat, nur bedingt nachvollziehen was es heißt, alle zwei, drei oder vier Jahre in ein neues Land zu ziehen. Die Dynamik von Brokenshires Familie und die Konflikte, die durch ihre besondere Lebensweise entstanden, fand ich sehr spannend. Zwar kannte ich den Indien-Pakistan-Konflikt, doch über die politischen Verhältnisse in Südamerika weiß ich kaum etwas, weshalb der Film trotz der persönlichen Perspektive sogar lehrreich war. Mir gefällt „The Dependents“ sehr, auch wenn es ein gewisses Interesse und Durchhaltevermögen erfordert, um dem roten Faden folgen zu können und sich nicht zu sehr verwirren zu lassen. Der Film ist auf jeden Fall für alle zu empfehlen, die sich für außergewöhnliche Familiengeschichten interessieren und auch nicht immer wissen, wo sie eigentlich zuhause sind.
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Wir haben Sofia Brockenshire zum Interview getroffen und sie zu ihrem Dokumentarfilm befragt.