Mit der Aufarbeitung der NSU-Verbrechen rückt die faschistische Szene in Deutschland wieder in den Fokus. Auch das DOK Leipzig kommt an diesem Thema nicht vorbei. Der Dokumentarfilm „Propaganda, Hass, Mord“ klärt über vier Jahrzehnte rechten Terror in Europa auf. Ein erschreckender und wichtiger Film, der längst überfällig war. Wir haben uns nicht nur den Film angesehen, sondern auch mit dem Regisseur gesprochen.
Der Dokumentarfilm setzt mit grauenvollen Bildern von der norwegischen Insel Utoya im Sommer 2011 ein. Dann beginnt für die Filmzuschauer eine grausame Zeitreise durch 40 Jahre europäische Geschichte. Es sind Jahrzehnte des rechten Terrors. Ob Spanien, Belgien, Italien oder Deutschland – es scheint, als ob ein brauner Schleier ganz Europa bedeckt.
Zahlreiche Aufnahmen belegen die Zusammenarbeit internationaler Kameradschaften, mehrere Nationalsozialisten werden über Jahrzehnte hinweg begleitet. Durch die politische Wende 1989 vereinigen sich auch die Nationalsozialisten aus West und Ost. Die Attentate vom 11. September werfen das Licht auf islamistische Terroristen. Am Ende wird eingeblendet, dass in dem einstündigen Film über 200 Morde dokumentiert worden sind. Morde, die durch rechtes Gedankengut ausgelöst wurden und deren genaue Zahl unbekannt ist.
Dr. Rainer Fromm setzt sich seit 1988 journalistisch mit dem Thema des Extremismus auseinander. Der Politologe arbeitete schon für Sendungen wie „Frontal 21“, „Fakt“, “heute journal” und produzierte mehrere Dokumentationen. Über 250 Filmbeiträge hat Fromm bereits in verschiedenen Fachbüchern veröffentlicht.
DOK-Spotterin Louisa führte mit dem Investigativ-Journalist anlässlich des 55. Dokumentarfilmfestivals in Leipzig ein Interview.
Louisa: „Propaganda, Hass, Mord“ ist einer von vielen Dokumentarfilmen über den rechten Terror. Was bietet Ihr Film, was andere Dokumentarfilme über das Thema nicht bieten können?
Dr. Rainer Fromm: Es ist der Versuch einer Aufarbeitung der europäischen Dimension des Themas. Die Dokumentation gibt zu verstehen, dass Rechtsextremismus nicht deutschlandweit, sondern europaweit ein Gesicht hat. Das Besondere ist, dass wir sowohl Ermittler, als auch Extremisten auf europäischer Ebene befragen konnten und dass es auch neue Erkenntnisse zu europäischem Extremismus gibt — insbesondere der internationalen
gewaltbereiten Netzwerke. Wir haben sowohl von offiziellen Vertretern als auch von Protagonisten aus der extremistischen Szene Bild- und Tondokumente aufgenommen. Es ist die erste Dokumentation über die Dimension und die Kontinuität des rechtsextremen Terrorismus in Europa.
Louisa: Der Film zeigt erschreckende Aufnahmen von Kameradschaften aus ganz Europa. Wie sind Sie an diese Aufnahmen gelangt?
Dr. Rainer Fromm: Ich beobachte die Szene seit über zwanzig Jahren. Da war es möglich auch zu Protagonisten ein gewisses Vertrauensverhältnis aufzubauen. Da ich die Szene nicht nur journalistisch sondern auch wissenschaftlich dokumentiere wurde es auf dieser Ebene möglich, auch interne Veranstaltungen zu filmen und szene-internes Material einzusehen und journalistisch zu nutzen.
Louisa: Im Film melden sich zahlreiche bekennende Rechtsextremisten offen zu Wort. Begegnen Sie diesen Menschen mit Angst?
Dr. Rainer Fromm: Nein, mit Neugierde. Jeder Rechtsextremist ist ein Mensch mit einer Biographie und Positionen, auch wenn sie noch so abstrus erscheinen. Viele Leute stellen sich die Frage: Was denken Rechtsterroristen? Und ich denke, es ist sehr wichtig, dass man der Frage nachgeht, wie sich die Szene selbst reflektiert. Wenn man wissenschaftlich-journalistisch zu dem Thema arbeitet, ist es nicht nur wichtig, die offiziellen Quellen wie Berichte von Polizei oder Verfassungsschutz zu nutzen, sondern auch die Protagonisten zu befragen. Es ist aus meiner Sicht unerlässlich, dass man bei der Recherche auch mit den Menschen spricht, die dieses Thema markieren. Das gehört, glaube ich, auch zur redlichen Quellenarbeit dazu. Auch wenn natürlich das ein oder andere Treffen nicht ungefährlich war, und die Positionen mehr als nachdenklich und besorgt
stimmen.
Louisa: Welche Rolle spielen junge Extremisten im rechten Terror?
Dr. Rainer Fromm: Rechtsextremer Terror ist meistens das Ende einer politisch-extremistischen Resignation.Von den Terroristen hat keiner als Terrorist angefangen, sondern sie haben immer lange Radikalisierungsbiographien über Jahre hinweg. Die Motive sind hierbei nicht ausschließlich ideologisch zu suchen. Es bündelt sich alles. Es sind auch familiäre Dispositionen in der Kindheit und Jugend, eigene Gewalterfahrung und letztendlich die Frage, mit welchen sozialen Dispositionen die Radikalisierungsprozesse einhergehen. Ich glaube, dass es über die Motivation, wann und warum aus Extremisten Terroristen werden, nur wenige wissenschaftlich zuverlässige Untersuchungen exisisteren. Warum aber ausgerechnet junge Rechtsextremisten zu Terrorgruppen finden, hat sicherlich etwas mit der gezielten Ansprache durch ältere Szenemitglieder zu tun. Diese
instrumentalisieren immer wieder die Jüngeren zu Gewalttaten, damit sie sich nicht selbst die Hände verbrennen. Erfahrene Rechtsextremisten wissen, dass rechter Terror alleine schon wegen der Geschwätzigkeit und dem Opportonismus vieler Szenemitglieder selten geheim bleibt, und die viel geschworene Kameradschaft oft an der Stelle endet, wenn eine Polizei oder Staatsanwaltschaft den Betroffenen Vorteile in Aussicht stellt.
Louisa: Wie können sich Jugendliche gegen Rechtsextremismus engagieren?
Dr. R. Fromm: Das ist eine sehr gute und wichtige Frage. Ich glaube, da gibt es sehr vielfältige Formen. Ich würde die Frage so stellen: Was kann ich für die Integration und ein interkulturelles Miteinander tun? Wie stärke ich
Jugendliche mit Migrationshintergrund? Wie tolerant bin ich behinderten Menschen im Alltag gegenüber oder Homosexuellen. Die Auseinandersetzung mit
Rechtsextremismus ist selten eine Auseinandersetzung mit Neonazis. Menschenverachtung gilt es auch in der gesellschaftlichen Mitte zu begegnen.
Toleranz üben ist ganz einfach und aus meiner Sicht das wirksamste Mittel gegen alte und neue Nazis.