Zu Zeiten des Wilden Westens, genauer gesagt 1804-1806, unternehmen die Entdecker Meriwether Lewis und William Clark eine Expedition vom heutigen Illinois aus bis zur Westküste der USA, quer durch das 1803 von Frankreich gekaufte Louisiana. Drei Jahre später, am 11.10.1809, stirbt Meriwether Lewis unter ungeklärten Umständen und lässt nichts zurück, weder Frau noch Kinder. Offiziell hat er sich erschossen. Doch warum hat er sich umgebracht?
Der Suizid erfolgt während eines Streits mit seinem Liebhaber John Pernia. So wird die Geschichte von Meriwether Lewis und John Pernia jedenfalls von Ben Youngs Kurzfilm „The Wages of John Pernia“ erzählt.
Ben Young macht Meriwether in fast acht Minuten zum tragischen Helden einer verbotenen Liebesgeschichte im Wilden Westen. Young selbst ist ein Nachfahre Meriweathers.
Mit einer ruhigen Erzählstimme, melancholischer Klassik im Hintergrund sowie Szenen aus alten Westernfilmen, wird die Atmosphäre eines Amerikas aus den Anfängen des 19. Jahrhunderts kreiert. Der Film schildert Meriwethers Geschichte in einem Brief, welcher an John Pernia adressiert ist, sodass dieser viele Male auch direkt mit seinem Vornamen angesprochen wird. So erfahren wir gleich zu Beginn, dass Meriwether als Kind die Wälder von Virginia geliebt, einen schmutzigen Sinn für Humor hatte und Männer bevorzugte.
Auf die berühmte „Lewis und Clark Expedition“ wird nur wenig eingegangen, stattdessen erzählt der Film darüber, wie Meriwether und John sich nach der damals weltbekannten Expedition in Washington kennengelernt und dass es „sofort Klick“ gemacht habe. John zieht mit Meriwether nach Saint Louis, wo er fortan für ihn arbeitet. Auch, als Meriwether langsam pleite geht und seine Mitarbeitenden nicht mehr bezahlen kann, bleibt John bei ihm. Er begleitet den ehemaligen Entdecker in seinen düstersten Tagen und hält ihn vom ersten Suizidversuch ab. Beim zweiten und Finalen soll John im selben Raum gewesen sein und mit ihm gestritten haben. So endet Meriwether Lewis‘ Schicksal. In der Wut eines „geschädigten Mitarbeiters und vielleicht eines geschädigten Witwers“ fordert John Rückzahlungen vom amerikanischen Staat in der Höhe von über 200$, von denen er 10$ erhält.
Ob es genauso dramatisch war, wie Ben Young es in diesem Kurzfilm schildert, wissen wir nicht. Obwohl der Film den Namen „The Wages of John Pernia“ trägt, ist Meriwether Lewis im Fokus, was eventuell daran liegt, dass es über John Pernia nicht viele historische Belege gibt, und Meriwether damals durch seine Expedition beinahe einem Superstar gleicht.
Es ist außerdem wichtig anzusprechen, dass nicht historisch belegt ist, ob diese Liebesbeziehung zwischen Meriwether und John wirklich so stattgefunden hat, oder nur aus dem Geist von Ben Young entsprungen ist, um die amerikanische Gründergeschichte etwas diverser darzustellen. Jedoch gibt es in der Geschichte viele Fälle, in welchen die Existenz von queeren Personen verschwiegen und mögliche Dokumente zerstört wurden. Dieses Wissen wird erst heute, im 21. Jahrhundert, nach und nach wieder aufgearbeitet. Fakt ist, dass queere Personen zu jedem Zeitpunkt und in jeder Kultur der Welt existiert haben und existieren. Deshalb kann es durchaus sein, dass Meriwether Lewis und John Pernia homosexuell waren. Ob dies es jedoch irgendwann einmal in die Geschichtsbücher schafft, wagen wir zu bezweifeln.
Doch vielleicht sind Filme wie „The Wages of John Pernia“ deshalb so wichtig. Um zu zeigen, wie die Geschichte auch gewesen sein könnte.
Per Email haben wir außerdem ein kurzes Interview mit dem Regisseur Ben Young geführt:
DOK Spotters: Why did you choose the title “The Wages of John Pernia?”
Ben Young: The wage arrears owed to John Pernia evolved into a sort of fractal metaphor and thematic anchor for the film. There is the notion of literal debt/reparation that resonates into the present of course, but also the sense of a void where the remainder of John and Meriwether’s lives should have been: they both appear to have committed suicide well within their 30s, one shortly after the other.
In keeping with the film’s desire to transcend the condescension of posterity – an all-too-easy default setting from our present position of relative material and moral luxury – I also wanted to evoke the debt we owe to people who, in fitful and flawed little increments, steps forward and back, made the world we live in today.
DOK Spotters: Why did you decide to make the film? Do you have a personal connection to their story?
I narrated the film as I am a descendant of one of Meriwether’s siblings. That descent was not of much interest to me until I discovered the strange circumstances of Meriwether’s death, and his queerness: a ‘pioneer’ icon who embodied the contradictions of his time and place, and who subverts the traditional Old West iconography of macho frontiersmen. The ultimate inspiration for the film was the discovery of John Pernia – a man who bound his life to Meriwether’s, and who in a different way also subverts our expectations of what was possible for a person in his position in early 1800s America. In the historical record, Meriwether is the firmament from which the story of John emerges, and so the film became the story of their relationship.
DOK Spotters: Were there any difficulties (and if so, which) in producing the film since Meriwether and John are not historically documented?
Ben Young: The process was detective work and deduction, garnished with a friendly sense of gossip. Despite the censorship of Meriwether’s journals upon his death – sadly, there is a great deal of vivid, funny, and historically illuminating writing that is lost forever – his life as a private and public figure is well documented. Accounts of John’s life only emerge in small bursts, mostly tied to the aftermath of Meriwether’s suicide. One element that I didn’t include in the film, for example, is that after Meriwether’s death, it appears likely that John took a substantial amount of Meriwether’s personal belongings with him to New Orleans, where John lived for a short time before his own overdose and death.
Hedi & Ida