Eine Schildkröte taucht in hellblau leuchtendem Wasser. Sie bewegt sich schwerelos, als würde sie in einem wolkenlosen Himmel fliegen. Dann taucht ein Mensch neben ihr auf, der ebenso ruhig und gleichmäßig seine Züge tut. Ohne Sauerstoffflasche, als wäre er einfach ein weiterer Meeresbewohner. Zu engelsgleichen Gesängen taucht das Duo in der Weite des Wassers. Ein Bild wie ein Traum. Ein Traum vom Fliegen unter Wasser.
Wenn Alexan taucht, dann geht er nicht nur seinem Beruf nach, sondern lebt eine besondere Fähigkeit aus. Der Titel des Films „Walking under Water“ trifft daher die Selbstverständlichkeit, mit der sich Alexan unter Wasser bewegt, gleichzeitig erinnern aber die Schwerelosigkeit und der Zauber der Bewegung ans Fliegen
Alexan ist einer der letzten Angehörigen des Nomadenstammes der Badjao, ein Volk, das mehr im und auf dem Wasser lebte als auf dem Land. Er beherrscht es, ohne moderne Ausrüstung tauchend auf Fischfang zu gehen. Der Film der polnischen Regisseurin Elizą Kubarską begleitet Alexan dabei, wie er diese Tradition an seinen Neffen weitergibt.
„Dreamo“ ist die Aufschrift auf dem pinkfarbenen Plüschpullover des 10-jährigen Sari. Das Kleidungsstück wirkt wie aus einer anderen Welt, wenn man den Jungen mit seinem Onkel Alexan auf einem kleinen Boot inmitten des weiten Ozeans sieht.
Der Zuschauer taucht dabei ein in ein Meer aus Licht und Farben. Vor allem Blau in allen Facetten, aber auch goldener Schein auf den Gesichtern, wenn Alexan und Sari nach einem Tag im Wasser auf einer einsamen Insel stranden. Das alles wirkt so märchenhaft wie die Geschichte, die Alexan seinem Neffen am Lagerfeuer erzählt: von einem Kindheitsfreund mit Kiemen. Aber kann es das geben, ein Märchen auf einem Festival für Dokumentarfilm?
Wohl kaum. In dem Moment, in dem es verwunderlich wird, dass der Ozean immer so ruhig und friedlich daliegt, kreuzt plötzlich eine lärmende Yacht nach der nächsten die Bildfläche. Es tauchen Wellblechhütten auf, die im Müll schwimmen. Zeichen einer Zivilisation, die vorher so weit weg schien. Onkel und Junge verlieren sich in der Stadt, die nicht ihre Sprache spricht. Als sie sich wiederfinden, gibt es nicht viel zu sagen, außer: „Lass uns gehen, wir waren schon viel zu lange hier.“
Mehr und mehr bricht das idyllische, zivilisationsferne Bild ihrer Zweisamkeit. Was draußen umgeben von fernen Horizonten eine Ewigkeit war, sind zurück im Heimatdorf doch nur fünf Tage auf dem Meer. Fünf Tage hat er sie und die Kinder alleingelassen, das wirft seine Frau Alexan vor, als sie zurückkehren. Eine Veränderung zeigt sich in Saris Kleidung. Er trägt nun nicht mehr das vertraute Plüsch, sondern ein knallrotes Poloshirt. Dadurch wirkt er älter und ernster. Sari beginnt im Holiday-Tauch-Resort zu arbeiten, das durch einen Zaun abgegrenzt, direkt neben seinem Heimatdorf liegt. Hier treffen Wohlstand und Armut in einer absurden Panoramaaufnahme aufeinander. Sari steht verloren und verschlossen inmitten begeisterter, amerikanischer Touristinnen mit hochmoderner Tauchmontur. Seine Aufgabe ist es, die leeren Luftflaschen auszutauschen. Hier trifft Sari auf die Welt, die er bisher nur aus Erzählungen kannte. „In Amerika kannst Du sieben Frauen heiraten“, versprach ihm sein Onkel. Und sein Vater sagt: „Wenn Du zur Schule gehst, dann kannst Du gute Kleidung haben, wie ein Filmstar.“. Dabei scheint Sari schon genau in der richtigen Rolle, wenn er bei Dämmerung auf dem Boot eine Melodie singt, die sich unbeschreiblich schön an die Filmmusik anschmiegt.
Aber selbst wenn er wollte, wäre Sari der Schulbesuch nicht möglich. Als Nomaden sind Alexan und Sari Außenseiter der Gesellschaft. Sie haben keine Pässe und erhalten vom Staat keinerlei Unterstützung, somit darf Sari auf seiner Heimatinsel nicht zur Schule gehen.
Das Produktionsteam des Filmes hat es sich nach ihrem Drehaufenthalt zur Aufgabe gemacht, daran etwas zu ändern. Zur Zeit planen sie eine schwimmende Schule für Kinder der Badjao.
Bis diese aber ihre Fahrt auf dem Meer aufnehmen kann, wird noch Zeit vergehen. Sari wird sich solange weiterhin mit seinem Onkel Alexan auf den Weg zum Horizont machen, um zu zweit zu tauchen und die Freiheit des Fliegens unter Wasser zu leben.
Ein Film von Elizą Kubarską
Nächster Spieltermin
01.11.2014 / 20:15 Uhr
im Cinestar, Saal 6
Sendetermin auf Arte
10.11.2014
Mehr Informationen zum Film:
badjaofilm.com