Was haben ein atheistischer Politologe, ein selbstaufopfernder Sänger, ein Graffitikünstler und das Nacktbild einer jungen Frau gemeinsam? Was nach dem Anfang eines schlechten Witzes klingt, ist alles andere als komisch zu verstehen: Der Film „Art War“ von Marco Wilms, der zum ersten Mal anlässlich des 56. DOK-Festivals in Leipzig gezeigt wurde, greift die Rolle der Künstler in der ägyptischen Revolution seit 2011 auf.
Aus Sicht der Jungrevolutionäre erzählt der deutsche Regisseur chronologisch die Geschichte der ägyptischen Revolution seit dem Sturz Mubaraks Anfang 2011. Der Zuschauer wird von Anfang an in die Krisensituation einbezogen, sieht brutale Militäreingriffe in zunächst friedliche Demonstrationen und lernt die Protagonisten, überwiegend Graffitikünstler, kennen und wertschätzen. Der Dokumentarfilm weist hierbei auf künstlerische und gleichzeitig kritische Weise zwei völlig verschiedene und dennoch eng beieinander liegende Komponenten der Revolution auf: Kunst auf der einen, Krieg und die Gewalt auf der anderen Seite.
Der Wandel einer Straße
Sinnbildlich dafür steht der Wandel der Mohamed Mahmoud Straße in Kairo: Nachdem hier eine Straßenschlacht Ende 2011 stattfand, bei der fast 50 Demonstranten und Anwohner ums Leben kamen, bemalten Graffitikünstler die angrenzenden Häuserwände mit Portraits der gefallenen „Märtyrer“ dieser brutalen Revolution. Eine Art Denkstätte all derer, die ihr Leben in einem Kampf gegen ein Regime ließen, das genauso skrupel- wie auch gewissenlos erscheint. Der Prozess des Wandels von Gewalt und Krieg zu Kunst dauert bis heute an.
Gerechtigkeit, Freiheit und Würde: Die Forderungen der Aufständischen sind genauso nachvollziehbar wie gerechtfertigt. Aufnahmen von Massenaufständen auf dem Tahir Platz im Zentraum Kairos zeigen eindrücklich die Stärke des Wunsches nach einem lebenswerten Leben von Millionen von Ägyptern.
Harte Fakten – aber nicht ohne Gefühl
Dem Film “Art War” gelingt es, die Geschehnisse in Ägypten (mit Schwerpunkt auf die Millionenstadt Kairo) für Außenstehende leicht verständlich und dennoch aus einem
angemessen kritischen Standpunkt heraus zu betrachten. Dabei wird der Zuschauer gleichermaßen mit harten Fakten versorgt, sowie gekonnt auf eine emotionale Ebene geleitet. Die Authentizität der Protagonisten lässt sie mit jeder Szene greifbarer werden, dem Zuschauer näher ans Herz wachsen. Genug Stoff zu Mitfiebern gibt es allemal: Etwa wenn Bosaina, die rebellische Electropop-Sängerin aufgrund ihrer provokanten Performance vom Publikum aufgefordert wird, den Club zu verlassen. Oder wenn Hamed Abdel-Samad, deutsch-ägyptischer Autor und Historiker, auf der Straße aggressiv wegen seiner atheistischen Pulloveraufschrift angepöbelt wird.
Doch „Art War“ ist nicht nur ein Film zum Mitfiebern und –fühlen. Es ist vor allem ein Film, der uns die aktuelle politische Situation Ägyptens eindrücklich ins Gedächtnis ruft. Marco Wilms ist mit seinen Aufnahmen ein informatives und mitreißendes Gesamtwerk gelungen, das den Zuschauer auch noch Tage nach dem Film nicht loslässt und weiterhin beschäftigt. Eine unbedingte Empfehlung für alle Rebellen und politisch Interessierten unserer Zeit!
Wir haben Marco Wilms und einen seiner Protagonisten zum Interview getroffen
Text: Emilie Grunwald