Jeder kennt Sand. Dieses unbeständige Gefühl unter den Füßen. Feine Körner, die vom Wind verweht werden oder einem langsam durch die Finger rieseln. Ich weiß noch wie wir im Kindergarten immer gesiebt haben wie verrückt, um feinen Sand noch feiner zu machen. Was ich nicht weiß ist, wie es sich anfühlt, selbst aus Sand zu sein. Wie es ist, seine eigenen Grenzen nicht fühlen zu können. Wie es ist, von jedem kleinsten Windstoß auseinander geweht werden zu können. Das kennen die Wenigsten.
Veronika Raila kennt dieses Gefühl. Dieses Gefühl von Unstete und Ungewissheit, das Gefühl keine Grenzen zu haben. Sie beschreibt sich selbst als Sandmädchen. In einem Moment ist alles in Ordnung, im nächsten kommt die Böe und Veronika zerfällt langsam in Einzelteile. Der darauf folgende Prozess des sich Wieder-Zusammensetzens ist oft schmerzhaft für sie.
Veronika Raila ist körperlich schwer behindert. Sie kann nicht sprechen oder selbstständig zum Kühlschrank gehen. Aber in ihrem Körper, der ihr einfachste Funktionen verwehrt, steckt ein hochsensibler, intelligenter Geist.
Schon am zweiten Tag nach ihrer Geburt wurde Veronika ein IQ von 0 attestiert. Jegliche Kommunikation sei ausgeschlossen hieß es. Ein fataler Trugschluss. Zusammen mit ihrer Mutter hat Veronika einen Weg gefunden ihre Meinung und Gedanken nach außen zu tragen. Wenn ihre Mutter mit sanftem Druck ihre Hand umfasst, kann Veronika schreiben und zeichnen.
Mittlerweile studiert Veronika. Neuere Deutsche Literatur und katholische Theologie.
Schon als ich von ihr gehört habe, war ich enorm beeindruckt von der Kraft und Willensstärke dieser erstaunlichen jungen Frau. Nachdem ich Mark Michels Film Sandmädchen gesehen habe, und im Zuge der Premiere auch Veronika selbst, war ich sogar noch beeindruckter. In wunderschönen Bildern von Sand, Dünen und Natur wird Veronikas Innenleben sichtbar. Untermalt werden die Bilder durch zugleich klare wie poetische Texte – gelesen von Jana Wand, die Veronikas frei fliegende Gedanken erdet.
Autorin: Helene Fuchshuber