Kurz vor der US-amerikanischen Präsidentschaftswahl liefert Mirjam von Arx mit „Virgin Tales“ ein etwas anderes Porträt des Landes. Im Mittelpunkt des Dokumentarfilms stehen die Wilsons, eine neunköpfige Familie aus dem westlich gelegenen Bundesstaat Colorado. Die schweizerische Regisseurin begleitete die Familie eineinhalb Jahre.
Die Wilsons sind eine Familie der besonderen Art. Sie sind Evangelikale. Das ist eine streng konservative Glaubensgemeinschaft, die Homosexualität als Sünde betrachtet und versucht, Andersgläubige zu missionieren. Zu ihren Grundsätzen zählt auch das Gebot der Jungfräulichkeit. Das bedeutet, kein Sex vor der Ehe. In den USA stellen die Evangelikalen 25 Prozent der Bevölkerung. Auch politische Vertreter wie George W. Bush und die Tea-Party-Bewegung unter Sarah Palin gehören ihr an.
Randy, das Familienoberhaupt der Wilsons, ist Mitbegründer der so genannten „Purity-Bewegung“. Zusammen mit seiner Familie veranstaltete er 1998 den ersten „Jungfräulichkeitsball“ für Väter und Töchter. Bei der Erziehung seiner fünf Töchter achtet Randy stets darauf, dass sie auf das Leben für ihren zukünftigen Ehemann vorbereitet sind. Die sentimentale Mutter Lisa unterrichtet ihre Kinder selbst. Dies geschieht natürlich unter der Aufsicht Gottes. Sie ermutigt ihre Kinder von klein auf, dass sie der Mann, der für sie bestimmt ist, finden wird.
Logan ist ein schlaksiger 16-Jähriger, der mitten in der Pubertät steckt. Er bewundert seinen älteren Bruder und möchte, wie er, zum Militär gehen. Wie sein Vater, möchte auch er den Weg der Reinheit wählen und allen Versuchungen des Alltags widerstehen, bis er der Richtigen begegnet. Im Gegensatz zu ihren älteren Geschwistern wartet die 23-jährige Jordyn sehnsüchtig darauf, in die Fußstapfen ihrer großen Schwestern zu treten. Für das perfekte Eheleben ist sie sogar bereit, auf die Uni zu verzichten. Stattdessen hat sie ihre eigene „School of Grace“ gegründet, die junge Mädchen auf ein zukünftiges Leben als Hausfrau vorbereiten soll.
Mirjam von Arx ist mit ihrem Film ein skurriles Porträt über die „Purity-Bewegung“ gelungen. Die Protagonisten des Films scheuen sich nicht davor, offen über ihre Einstellungen und Grundsätze zu sprechen. Somit entsteht ein erschreckendes und zugleich durchaus spannendes Bild.
Text: Louisa