Im Zentrum des Films „Active Vocabulary“ steht die Geschichte der jungen Russischlehrerin Maria, die sich kurz nach der russischen Invasion in die Ukraine im Schulunterricht gegen den Krieg ausspricht. Weil sie von einer Schülerin denunziert wird, muss Maria nach Deutschland fliehen, wo sie jetzt auch als Lehrerin arbeitet. Der Film stellt unter anderem die Frage, in welchem Zusammenhang Schule und Politik stehen. Wir konnten während DOK Leipzig mit der Filmemacherin Yulia Lokshina und ihrem dramaturgischen Berater Philipp Hartmann sprechen.

Der Film heißt ja „Active Vocabulary“. Wieso haben Sie sich genau für diesen Titel entschieden?
Yulia: Schöne Frage. In dem Film geht es viel darum, wie wir Dinge benennen, die uns umgeben. Und wie die Sprache auch unsere Vorstellungen davon formt, wie wir die Welt und die Wirklichkeit sehen. Also es ist jetzt kein Phänomen, dass es erst seit Beginn der Invasion gibt. Das gibt es natürlich schon ganz lange, aber der Krieg hat ja einen neuen Namen bekommen und es wurde dieser Begriff Spezialoperationen eingeführt und damit gab es eine andere Idee davon. Und deswegen heißt der Film „Active Vocabulary“.

Die Geschichte der Lehrerin ist ja eine sehr persönliche. Wie sind Sie auf sie aufmerksam geworden und was hat Sie daran besonders berührt?
Yulia: Als ich begonnen habe, an dem an dem Film zu arbeiten, bin ich auf einige Fälle von Denunziation und Verrat im Klassenraum gestoßen. Maria, die Protagonistin war eben eine von diesen Personen, denen das passiert ist. Und es gab Berichte in der deutschsprachigen Presse über sie und daraufhin habe ich sie dann kontaktiert, weil ich wusste, dass sie nach Berlin gekommen ist. Was mich sehr beeindruckt hat, war, es schien für sie gar keine Frage zu sein, ob sie ehrlich zu den Kindern ist, die sie unterrichtet hat. Und das erfordert Mut, weil das kritische Sprechen über den Krieg ja sehr, sehr schnell kriminalisiert wurde. Und sie wurde ja von den von den Kindern verraten, zu denen sie hatte ja vorher eine Beziehung hatte. Sie hat sie unterrichtet, sie kannte sie länger und wie großzügig sie im Nachgang über sie gesprochen hat. Sie hat immer wieder gesagt, dass das eigentlich sehr kluge Kinder waren und wie sehr sie das erschüttert hat, dass eine Schülerin sie offenbar hintergangen hat. Sie schien das systematisch zu verstehen, dass sich in der Vorstellung davon, was richtiges und falsches Handeln ist, etwas verschoben hat.
Einer der zentralen Handlungsstränge in dem Film „Active Vocabulary“ ist der der Protest im Wald, bei dem russische Frauen gegen die Bebauung eines Naturschutzgebietes in der Nähe von Moskau demonstrieren. Wieso zeigen Sie auch diesen Handlungsstrang so prominent im Film?
Yulia: In dem Strang wird ein Stück Wald abgeholzt und da soll eine Schule gebaut werden. Und da drin liegt bereits ein Verstoß in den Augen der Leute, die da protestieren. Und es gibt diesen Moment im Film, wo die Schule noch nicht gebaut ist, aber als Institution hat sie bereits neue Regeln erhalten. Also Schulen verändern sich, neue Schulen entstehen, alte verändern sich oder laufen Gefahr, sich sehr stark zu verändern.
Philipp: Es geht bei dem Protest auch darum, dass da bald ein neues Viertel entsteht, also um diesen ganzen Gentrifizierungsprozess. Also die Schule ist eigentlich nur so der Vorposten. Und das finde ich interessant, weil eigentlich hat ja niemand was dagegen, dass Schulen gebaut werden, im Gegenteil. Aber in dem Fall wird die Schule, wenn man so will, auch missbraucht, um Wald abzuholzen und zu expandieren.
Der Film handelt ja auch vom Zusammenhang zwischen Schule und Politik. Wie politisch sollte Ihrer Meinung nach die Schule sein?
Yulia: Ich würde sagen, Schule ist ein sehr politischer Ort. Und dann ist es aber natürlich auch eine Institution, die eine staatstragende Rolle hat. Und deswegen ist die Schule auch immer davon abhängig, in welcher Gesellschaftsform sie existiert. In meiner Wahrnehmung ist es toll, wenn es Lehrkräfte gibt, die kritisches Denken fördern. Ja, die Schule ist ein politischer Ort und je nachdem, in welchem System, ist das mehr oder weniger gefährlich oder auch progressiv.
Philipp: Ich denke, das Erziehen zum eigenständigen Denken und zum sich eine eigene Meinung bilden können – das ist das Wichtigste, dass es an der Schule diese Möglichkeit gibt. Und so arbeitet ja der Film. Ich würde sagen, Yulia, dass du eben nicht irgendwas vorgibst oder irgendwas eindeutig erklärst, sondern dass es eher darum geht, etwas anzubieten, über das die Zuschauenden nachdenken können und vielleicht sogar auch müssen.
Okay, dann vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, um uns etwas mehr über Ihren Film zu erzählen. Alles Gute für „Active Vocabulary“.
Jule & Sophia
