„Nehme ich Menschen die Hoffnung, dann fressen sie sich auf!“

Lothar König im Ruhestand? Viele kennen ihn als engagierten Jugendpfarrer, bei dem Ruhestand irgendwie gar nicht denkbar ist. Der Film seines Sohnes Tilman König – „König hört auf“ – dokumentiert aber genau das. Er porträtiert das vielseitige Leben seines Vaters und zeigt dabei nicht nur die positiven Seiten. Man gewinnt einen Einblick in das aktive und ruhelose Leben von Lothar König.

Wir haben einen sehr aufgeschlossenen und gesprächigen Lothar König zum Interview getroffen. Unser Gespräch drehte sich um sein Leben, aber auch um politische Themen wie den Klimawandel. Dazu hat er seine sehr interessante Meinung mit uns geteilt.

Neben Lothar König wollten wir auch mit seinem Sohn Tilman König, dem Regisseur von „König hört auf“, sprechen. Da er sich aber leider gerade in Japan befindet, mussten wir ihm unsere Fragen per E-mail stellen.

Was hat Sie dazu bewegt einen Film über Ihren Vater zu drehen?

Als Dokumentarfilmemacher ist es gut, Filme über Dinge zu drehen, die man kennt und zu denen man einen besonderen Zugang hat. Außerdem war klar, dass mein Vater ein interessanter Protagonist ist. Als dann kein anderer einen richtigen Dokumentarfilm zu ihm gedreht hat, habe ich gedacht, jetzt mache ich das. 

 Wie würden Sie Ihre Beziehung zu Ihrem Vater beschreiben?

Ein bisschen distanziert, aber offen. 

War es für Sie schwer gleichzeitig Sohn und Filmemacher zu sein?

Nein, das hat eher viele Dinge leichter gemacht, nur am Anfang musste ich mehrmals klarstellen, dass ich zum Filmen da bin und nicht um ihm beim Umzug zu helfen oder was für ihn einzukaufen. Im Schnitt war es dann manchmal schwierig, was ich zeige – was lasse ich weg.

Da hat man ja immer eine Verantwortung als Filmemacher, auch für die Protagonisten. Und wenn der Protagonist der eigene Vater ist, hat man dieses Gefühl der Verantwortung noch einmal mehr, denke ich. 

Hat es die Beziehung zu Ihrem Vater verändert?

Ich denke, durch die viele gemeinsam verbrachte Zeit, habe ich nochmal mehr Verständnis für das, was er macht, entwickeln können. Auch ist unser Verhältnis vielleicht noch etwas offener geworden.

In der letzten Rede Ihres Vaters als Pfarrer redet er davon, dass es ein Wunder – denken Sie, dass die Jugend, die heute auf die Straße geht, Teil dieses Wunders ist?

Ja, das kann schon sein, so jemand wie Greta zum Beispiel, eine junge Frau, die plötzlich überall auf der Welt gehört wird – das ist schon ein Wunder. Die Jugendlichen, die erkennen, dass ihre Zukunft in ihren eigenen Händen liegt und die älteren Generationen erstmal weniger Interesse an den Problemen der Zukunft haben, weil es sie nicht mehr so betreffen wird – diese Erkenntnis bei vielen Jugendlichen und die großen Demos, das ist auch schon manchmal wie ein Wunder.

Oder wo würden Sie Teile dieses Wunders sehen?

Ich hoffe, dass noch viel mehr Frauen in wichtige Machtpositionen kommen, vielleicht irre ich mich, aber ich denke, dann wäre die Welt etwas friedlicher. Für viele Sachen braucht es Menschen, die sich dafür einsetzen und lange lange durchhalten, um Verbesserungen zu erringen. Wunder brauchen auf jeden Fall auch immer Geburtshelfer. Was im Iran gerade passiert, aber hoffentlich auch bald in Russland passiert, also dass Menschen sich für die Freiheit einsetzen – in letzter Konsequenz dann auch mit ihrem Leben, das halte ich immer für ein Wunder. Also wenn Menschen über sich selbst hinauswachsen, aber auch wenn sie irgendwann verzeihen oder vergeben können, das hat immer etwas von einem Wunder, finde ich.

Haben Sie das Gefühl, dass sich die lebensbedrohliche Situation (ausgelöst durch die politischen Aktionen Ihres Vaters), in der Sie sich eigentlich ständig befinden, sich besonders auf Sie ausgewirkt hat oder immer noch auswirkt?

Also ich selbst habe mein Leben nie als bedroht wahrgenommen, aber manchmal hatte ich Angst um meine Schwester oder meinen Vater.  Aber es gab in meiner Jugend und auch ganz selten danach noch Situationen, wo ich angegriffen wurde und wo ich auch Angst hatte, wo mir richtig das Herz klopfte. In Leipzig fühle ich mich sehr sicher und habe fast nie ein Angstgefühl, aber ich weiß, dass andere Leute sehr oft mit so einem Gefühl aufstehen – das ist schrecklich und kann einen von Innen kaputt machen. Es nimmt einem die Lockerheit und den Spaß am Leben. Manche Leute, die laufend bedroht werden, verhärten sich mit der Zeit, damit sie die Gefahr und die Angst aushalten – das ist fast genauso schlimm, wie die wirklichen Angriffe und man müsste viel mehr dagegen machen, auch von staatlicher Seite. Die Leute werden oft allein gelassen. Ich selber habe zwei Razzien durch die Polizei bei uns zuhause mitbekommen, das nimmt einem das Vertrauen und man muss schauen, dass man nicht jeden Polizisten gleich abstempelt. Immer wenn ich Auto fahre und die Polizei hinter mir fährt, bekomme ich ein ganz mulmiges Gefühl. Allein solche Ängste können dann dazu führen, dass man in solchen Situationen Fehler macht, weil man nicht mehr ganz frei denken kann. Es ist total wichtig, sich von Ängsten freizumachen, aber das gelingt mir auch nicht immer, einfach weil ich blöde Erfahrungen gemacht habe. Jetzt gerade bin ich mit meiner Familie in Japan. Immer, wenn ich hier bin, habe ich ein starkes Gefühl von Freiheit (auch wenn es hier natürlich auch viele Probleme gibt). 

Was wünschen Sie sich für Ihren Vater im Ruhestand?

Ich wünsche mir, dass er es irgendwann schafft, sich mal richtig auszuruhen, auch dass er es schafft, das Leben etwas mehr zu genießen und etwas mehr Leichtigkeit zurückbekommen. Und dann, dass er irgendwann guten Gewissens loslassen kann und anderen die Rolle überlässt, die er lange inne hatte. Gleichzeitig wünsche ich mir, dass er sich ein bisschen von seiner Wut behält, also dass er nicht gleichgültig wird, wie viele – aber da sehe ich eigentlich keine Gefahr bei ihm.

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