Popcorn hinter Gittern

Wir fahren durch friedliche Landschaften. Zwischen Wiesen, deren Horizont man nicht mehr sieht, taucht auf einmal ein graues Gelände mit mehreren Zäunen und hohen Wänden auf. Wie ein einzelner Karton in einem verlassenen Haus steht das Gebäude mitten im Nirgendwo. Das also ist die Jugendstrafvollzugsanstalt Regis-Breitingen, in der 16- bis 26-jährige einsitzen. Während des DOKs teilen sie ihre drei favorisierten Dokumentarfilme mit Besuchern. Ein ungewöhnlicher Ort für eine Filmvorstellung.

Mein erster Schritt in das Gefängnis führt in eine Schleuse, in der ich all meine Sachen in einen Schrank einschließen muss. Ich halte nur noch meinen Ausweis in der Hand. Den überreiche ich dem Justizbeamten und werde im Anschluss kontrolliert. Die zweite, riesige Wand öffnet sich und ein komisches Gefühl durchfährt mich. Auf einem kleinen Stück Erde am Eingang blühen Rosen. Sie stehen im Kontrast zu meinen Gefühlen. Ich sehe einen Raben über das Gefängnis fliegen und wundere mich, dass hier überhaupt Vögel sind. Wir werden weiter in einen Saal gebracht, in dem uns leckerer Popcornduft begrüßt. Zwei Insassen haben es für uns zubereitet.

Langsam gewöhnen wir uns an die Situation: Ich stehe tatsächlich neben Schwerverbrechern. Mir erscheinen sie allerdings sehr friedlich. Wir werden auf unsere Plätze gebeten. Vor dem Film begrüßt uns ein Insasse und wünscht uns viel Spaß. Während des Filmes vergesse ich total, wo ich bin. Die Stimmung ist gut, es wird viel gelacht und ich vergesse die beobachtenden Blicke der Justiz. Als das Licht wieder angeht, fahren die Jalousien wieder hoch und ich sehe die Gitter vor den Fenstern. Stimmt – wir sind in einem Gefängnis.

Nach dem Film gibt es eine Gesprächsrunde und jeder kann seine Meinung äußern. Ohne zu zögern erzählen einige der Insassen, wie sie den Film fanden. Die Stimmung bleibt weiterhin locker, bis auf einmal ein lautes Geräusch ertönt. Die Besucher werfen sich irritierte bis panische Blicke zu. Es fühlt sich an, als würden alle außer den Insassen, kurz die Luft anhalten. „Personal Alarm im Innenhof, Personal Alarm im Innenhof!“. Der Regisseur David Sievelking fragt was das nun übersetzt heißt. Ein Insasse antwortet: „Da haben sich wohl welche gekloppt.“ Immer mal wieder piept das Gerät der Justizbeamten und man hört das genervte Stöhnen einiger Insassen. Die Zeit geht schnell vorbei und bald müssen wir wieder gehen. Zuerst werden die Gäste in einen Vorraum geleitet. Die Insassen müssen noch warten, sie werden gezählt. Sogar auf der Toilette wird nachgeschaut. Erst danach dürfen die Gäste gehen.

Wir laufen draußen an den Fenstern vorbei, durch die Gitter kann ich die Insassen sehen. Wie aus einem Zoo heraus sehen sie uns hinterher. Wieder gehen wir durch die Schleuse. Und wieder stehen wir auf der anderen Seite der Mauer. Die Freiheit, das Gelände verlassen zu dürfen, erweckt in mir eine Dankbarkeit, gemischt mit schlechtem Gewissen. Bis mir wieder einfällt, dass die Gefangenen nicht ohne Grund in dem Gefängnis sind.

Ein Artikel von Lisanne Misfeld

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