Die fremde Sprache als „Stiller Raum“

Ein Vater isst Borschtsch aus einem Topf. Er hat eine grüne Jacke mit vielen Taschen. Dann verschwindet er und mit ihm die Jacke. Der Film „Our Quiet Place“ erkundet gemeinsam mit seiner Protagonistin Aliona Gloukhova die Grenzen der Erinnerung und die Möglichkeiten eines erneuten in Kontakttretens mit der Vergangenheit.

Die junge Schriftstellerin Aliona lebt im Exil in Frankreich. Die Distanz zu ihrer Heimat Belarus gibt ihr die Möglichkeit, sich auch beruflich in eine fremde Sprache zu flüchten. Das Französische ist nicht von den Worten ihres Vaters besetzt, ist zu Beginn leer, vielleicht auch einsam? Denn eine fremde Sprache ist ein „stiller Ort“, der Raum bietet um alles neu zu (er)finden.

Verliert man dadurch die Wirklichkeit oder gab es vielleicht nie eine, weil die Erinnerungen schon von vornherein trügerisch waren? Oder kann man sich vielleicht gerade durch die Fremde von den einschränkenden Erwartungen und Voreinstellungen lösen, von vorne anfangen und sich emanzipieren?  Wie nah, oder fern kommt man seiner eigenen Herkunft in einer fremden Umgebung?

Die wenigen Erinnerungen der Autorin an ihren Vater verschwimmen in einem Strudel aus Aufnahmen der Straßen von Minsk. Die Kamera schweift mit offenem Blick durch Bahnhöfe und Straßen, findet und verliert Gesichter, wie zufällige Begegnungen. So entstehen aus der Vergangenheit der Autorin und dem im Momentsein des Films Zusammenhänge und Fragen nach einer möglichen Wirklichkeit.

Der Film begleitet die Autorin bei diesem Prozess in poetischen und intimen Bildern. Gleichzeitig tritt die ebenfalls in Frankreich lebende bulgarische Filmemacherin Elitza Gueorguieva mit der Protagonistin in einen impliziten, oft verschlüsselten Dialog über den Um- und Aufbruch der ehemaligen Ostblockstaaten.

So kann das Verschwinden des Vaters auch symbolisch gelesen werden und ist zugleich selbst nicht unabhängig von den politischen und historischen Umständen zu verstehen. Dem Film gelingt eine Annäherung an die Problematiken einer postsovjetischen Gesellschaft ohne dabei seine Protagonistin und deren Gegenwart in einer globalisierten Gesellschaft zu vergessen.

Die persönliche Auseinandersetzung der Autorin mit ihrer Vergangenheit, ihr Blick auf die Wirklichkeit und ihr Umgang damit bilden den Kern dieses stillen Portraits.

 

Autorin: Cassia

 

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