Sie fehlen

Was erwarten wir bei einer Dokumentation über den NSU? Verschwörungstheorien, Rassismusvorwürfe, reißerische Titel. Was sind wir gewöhnt von anderen Dokumentarfilmen zu diesem Thema? Zuerst der Blick auf die Opfer, um erstmal den Ernst der Lage einzufangen. Es folgt ein Schwenk auf die Details der Tat und von da an handelt der Film nur noch vom Leben der Täter. Ihre Hintergründe werden beleuchtet: Was lässt  einen Menschen zum Mörder werden?

Nichts davon liefert „Spuren“, der Film  behandelt die Verbrechen des NSU, ohne den Fokus auf die Täter zu richten. Eine Position, die – wie im Laufe des Films klar wird – nötig ist. 

Vielleicht ist es die Konsequenz, die diesen Film besonders macht. „Spuren“ zeigt das Leben der Opfer bis zu 19 Jahre nach der Tat. Für die Opfer sind es nicht die Täter, sondern die Folgen der Tat, die den Ausschlag geben, über sie zu sprechen und sich erneut mit den Tathergängen zu beschäftigen. 

Die Morde werden zu Beginn des Films durch Texteinblendungen ins Gedächtnis gerufen. Von da an arbeitet sich der Film von Tatort zu Tatort, von Familie zu Familie und stellt so die Opfer und deren Angehörige mithilfe von Interviews und Fotos vor. 

Damit nimmt er der Debatte viel Hass. 

Eine große Rolle spielt der Begriff Heimat: Deutschland als Heimat, die es für viele über Generationen geworden ist. Doch auch die Angst davor, dass Ausgrenzung, Diskriminierung und Hass diese Heimat wieder nehmen könnte. Auf der anderen Seite die Hoffnung auf Solidarität und Zusammenhalt. 

Neben den deutschen Interviews sind es es vor allem die türkischen Gespräche mit ihrer bildhaften Sprache, die mich besonders berühren. Es entsteht ein sensibler Film über die Verarbeitung von Schicksalsschlägen und die Geschichte von drei deutschen Familien. 

Als ich aus dem Kino komme, bin ich bedrückt und wütend, viel mehr als der Film hat mich das Q&A  aufgewühlt. Die Regisseurin berichtet im Nachhinein von einem der Mittäter, dem die Schuld mit der Begründung abgesprochen wurde, er hätte zu Hause Frau und Kinder, die nicht ohne ihren Vater auskommen. Während die Familien der Opfer daneben sitzen, das ist paradox. 

Ich frage mich: “Hätte ich irgendetwas über die Opfer gewusst?” 

Das Einzige, woran ich mich dunkel erinnern kann, ist, dass einer von ihnen einen Blumenladen besessen hat. Das ist aber auch schon alles. Jetzt könnte man annehmen, die Medien spiegelten nur das Massenverhalten wider und die Berichte, die sich auf die Täter konzentrieren, wären eine reine Konsequenz des Konsumentenverhaltens. 

Der Film regt nicht nur zum Nachdenken, sondern zum Diskutieren an. 

Vielleicht auch gerade, weil er keine große Debatte aufbaut und die Familienmitglieder von ihrer menschlichsten Seite zeigt, stellt sich einem die Frage nach dem Warum.

Somit hat der Film auch in der aktuellen Debatte einen hohen Stellenwert. Selbst fast zwanzig Jahre nach den ersten Morden können wir kaum von Verbesserung oder Entnazifizierung sprechen. Das zeigen auch jüngste Rechte Gewalttaten, wie der Anschlag in Halle am 09. Oktober. 

Wir haben Menschen in der Leipziger Innenstadt zum Thema Rassismus befragt:

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