Was passieren muss, um Realität zu begreifen

Ein Schuss. Ein Schrei. Ein Platz.
Mehrere Schüsse. Einer sinkt zu Boden. Blutend.
Angerannt kommt ein Mann mit Gasmaske und Kamera. Draufhalten, ein Foto schießen, und weiter. Immer weiter, immer krasser, immer gefährlicher.

Später: „You shoot something? Let me look!“ Eine Gruppe junger Fotografen in Kairo, Ägypten. Auf dem Platz der Freiheit toben Kämpfe. Der Beginn des Arabischen Frühlings. Der Aufstand, die Rebellion beginnt bzw. ist in vollem Gange. Bilder werden geschossen, zur Dokumentation. Wichtig, sicherlich. Die Freude ist groß, wenn es eines auf die Titelseite schafft. Auch Fotobände werden herausgebracht. Der Erfolg winkt. Die Kriegsfotografen sind kleine Helden. Für Freunde, Verwandte und Familie, schon lange. Doch um welchen Preis? Sie erleben die gleichen Situationen, die gleichen Gefahren, wie die Rebellen. Und leben doch in einer komplett anderen Welt.

Sie reisen auf eigenen Kosten in Krisengebiete, um ‚das eine Foto‘ zu schießen. Grotesk. Ein sterbender Mensch wird zur Attraktion. Im Moment der Aufnahme treffen sich zwei verschiedene Personen und zwei verschiedene Welten. Jeder der beiden wird von etwas anderem geleitet. Der Fotograf will Dokumentation und hofft auf Erfolg. Der Rebell leidet für seine Überzeugung und wird zum Bestandteil des Bildes des Fotografen.

Alle sind in Gefahr: Die Presse und die Rebellen. Wenn sich ein Fotograf in die vordersten Reihen des Protest wagt, ist er genauso dem Kugelhagel ausgeliefert wie alle anderen. Diese Gefahr zu realisieren, ist schwer. Erst mit dem Tod eines Kollegen wird sie offenbar.

Schnitt zur Beerdigung. Das Bewusstsein der Allgegenwart der Todes. Früher wurde ausgeblendet, jugendlicher Übermut. Passiert schon nichts. Wird schon schiefgehen. Es kommt die Angst, das Bewusstsein der eigenen Verletzlichkeit.

Was bleibt? Ein Richtungswechsel. Die Abwendung vom Lebensgefährlichen, Skurrilen. Ein neuer Blick auf andere Themen. Ruhiger, aber dennoch grundsätzlich. Afrikanischer Dorfalltag, ärmlich, alltäglich und still. Die Einsicht braucht Zeit, dass auch solche Themen dazu gehören.

Die Fotografen des Arabischen Frühlings. Mussten erst begreifen, was Krieg bedeutet. Woher soll auch das Wissen kommen? Sie haben nie Krieg erleben müssen. Das Überlegenheitsgefühl gegen den Tod, eine gewisse Naivität waren die Folge.

Der Regisseur, Jerome Clement-Wilz, hält das in seiner Dokumentation „A Baptism of fire“ fest. Er ist immer mit dabei. Er zeigt, was hinter unseren täglichen Nachrichtenbilder steht. Jedes einzelne Bild bedeutet eine lebensgefährliche Situation für die Fotografen. Das Zeigen des brutalen Alltags, des Fragwürdigen: Foto schießen und weiter. Helfen, wenn jemand am Boden liegt? Nicht seine Aufgabe?

Jerome Clement-Wilz zeigt beide Seiten: Die Fotografen im Krieg und privat in Frankreich. „The Baptism Of Fire“ stößt an, bewegt. Ein Klumpen im Hals, den man erstmal hinunterschlucken muss. Die Realität liegt im Auge des Betrachters und wirft einen – wenn man sie begreift – um.

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