Eine Hübsche Illusion

Der unvermittelte Einstieg in den Film Girl Model (2012) zieht einen vom ersten Moment an in seinen Bann. Junge Mädchen, leicht bekleidet, stehen gedrängt nebeneinander und werden fotografiert und aussortiert. Alle nicht viel älter als 12. Darunter die 13-jährige Nadya – kindlich, große Augen, dünn – zu dünn für ihre Größe. Sie wird von dem ehemaligen Model Ashley, die nun als Scout fungiert, ausgewählt, um in Tokio zu arbeiten. Dort ist kindliche Unschuld ein ganz besonderes Schönheitsideal, welches ohne jeden Skrupel von der Agentur in Sibirien vermarktet wird. Den verarmten Familien werden knapp 8000 Dollar pro Auftrag versprochen und überall wird Werbung für den Modeljob gemacht, doch was letztendlich von den Versprechungen von Ruhm und Reichtum wahr wird, ist was ganz anderes.

"Girl Model", DOK Leipzig
„Girl Model“, DOK Leipzig

Allein wird Nadya nach Japan geschickt, wo sie sich wiederum bei einer Agentur melden soll und das, ohne dass sie auch nur ein Wort Japanisch oder Englisch spricht. Zwischendrin immer wieder Interviews mit Modelscout Ashley, die von ihren Anfängen in Japan berichtet, teilweise mit von ihr selbst gedrehten Videos von ihrem Leben damals. Aus Ashleys Aussagen hört man immer wieder deutlich den Hass gegenüber der Modelbranche heraus, doch mit ihrem Job aufhören wird sie wohl nicht.

Zuviel Geld lässt sich aus den unwissenden jungen Mädchen herausholen. Währenddessen wird Nadya mit einer gleichaltrigen Kollegin namens Madlen in einer schäbigen kleinen Wohnung untergebracht, von wo aus sie jeden Tag von Casting zu Casting hasten und von Tag zu Tag schlechter aussehen. Fotos werden geschossen, Kontaktdaten ausgetauscht, Flyer mit ihren Gesichtern darauf werden verteilt, aber Geld sehen sie dafür nicht.

Nadya hat seit einigen Tagen nichts gegessen, weil ihr schlicht und einfach das Geld dafür fehlt. Sie bricht in Tränen aus, als sie das erste Mal die Stimme ihrer Mutter am Telefon hört. Und so wachsen die Schulden, nur damit sie etwas essen kann. Im Gegensatz dazu sieht man Ashley in ihrem riesigen Apartment, wo sie mit ihren zwei Babypuppen lebt und Fotos von Modelkörperteilen zeigt, die sie heimlich geschossen hat. Sie erzählt, dass es nicht ungewöhnlich ist, sich für Erfolg in der Branche zu prostituieren. Es scheint, als hätte sie diese Arbeit kaputt gemacht, denn ihre ruhelosen Augen passen nicht zu dem Lächeln auf ihren Lippen. Ihr seien die Mädchen wichtig, sagt sie in die Kamera, doch das ist nur schwer zu glauben. Kurz bevor sie Nadya und Madlen besucht, versuchen diese, durch Essen von Süßkram sich aus dem ominösen Vertrag mit der Modelagentur zu befreien. Dieser besagt, dass sie, sollten sich ihre Maße auch nur um einen Zentimeter verändern, nach Hause geschickt werden. Als Ashley bei ihnen ankommt, wirkt die vorher ausgelassene Stimmung eisig und die zwei Nachwuchsmodels lassen sie deutlich ihren Missmut spüren. Schockierende Antworten bekommt man zu hören, als Ashley nach dieser Erfahrung einen Kollegen befragt, wie man selbstbewusste junge Mädchen gefügig macht…

Nadya wird kurz nach Madlen zurück nach Hause geschickt, da sie keine Aufträge an Land zieht. Lediglich ein Foto wurde gedruckt, eines, auf dem man gerade mal ihren Mund sieht. Geld hat sie dafür nicht bekommen und so ist das Einzige, was sie mitnimmt, ein Haufen Schulden und die Erkenntnis, dass sie nicht mehr die Selbe ist. Jedoch ist sie nun in einem Teufelskreis gefangen, denn wie soll sie ihre Familie sonst unterstützen?

Girl Model ist eine Dokumentation, die mit schockierenden Bildern und gut getimten Gegenüberstellungen von Ashley und Nadya überzeugt. Das Modelleben erscheint von außen immer wie ein Traum, doch dieser Film beweist das Gegenteil, denn selbst wenn man wie Ashley zu Erfolg gekommen ist (egal mit welchen Mitteln), begleiten einen die unschönen Erfahrungen ein Leben lang. Die Regisseure David Redmon und Ashley Sabin haben es schon mit den ersten Bildern geschafft, die hübsche Illusion vom Modelberuf zu zerstören. Ein absolut empfehlenswerter Film!

Diese Rezension als Radiobeitrag:


Ein Interview mit der Kuratorin des Programms Bodycheck von den DOK Spotters gibt es hier.

Zur Website des Films.

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